Crowdinvesting: „Theoretisch ist die Rendite unbegrenzt“
Mit Hilfe der Plattform Seedmatch kann jeder Anleger ab einem Betrag von 250 Euro in Startups investieren. Wir haben mit Geschäftsführer Jens-Uwe Sauer über Chancen und Risiken dieser Anlageform gesprochen.
Founderella: Herr Sauer, mit Seedmatch und Startnext haben zwei bekannte Crowdfunding-Plattformen ihren Sitz in Dresden. Entwickelt sich die Stadt zur deutschen Crowdfunding-Hauptstadt?
Jens-Uwe Sauer: Beide Plattformen wurden in Dresden gegründet und waren jeweils die ersten ihrer Art in Deutschland. Da Startnext mittlerweile von Berlin aus operativ tätig ist und immer mehr Crowdfunding-Plattformen über das gesamte Bundesgebiet verteilt gegründet werden, ist Dresden vielleicht nicht die „Hauptstadt des Crowdfundings“; mit Sicherheit aber stellt sie den Ursprung der deutschen Crowdfunding-Szene dar.
Wenn man sich mit der Thematik beschäftigt, stößt man schnell auf jede Menge Begriffe, die nicht jedem geläufig sind. Daher würde mich grundsätzlich erst einmal interessieren, was der Unterschied zwischen Crowdfunding und Crowdinvesting ist?
Grundsätzlich bedeutet Crowdfunding, dass eine Gruppe von Menschen (Crowd) ein Projekt finanziert (Funding). Das kann ein Buch, ein neues Produkt oder eben ein junges, innovatives Unternehmen sein. Das Prinzip des Crowdfundings basiert also darauf, dass viele kleinere Beträge durch eine Vielzahl an Investoren über eine Online-Plattform eingesammelt werden.
Es werden vier Arten von Crowdfunding unterschieden: Donation-based-, Lending-based-, Reward-based- und Equity-based-Crowdfunding. Die Investment-Verträge bei Seedmatch beruhen auf dem sogenannten Equity-based-Crowdfunding. Im Zuge des steigenden Bekanntheitsgrades dieser Möglichkeit des Investierens und Finanzierens, hat sich im deutschen Sprachraum der dafür synonym verwendete Begriff „Crowdinvesting“ etabliert.
(Anm. d. Red.: Donation-based = Spenden ohne erwartete Gegenleistung; Lending-based = quasi Kredit per Crowdfunding, Geldgeber erhalten vorher vereinbarte Verzinsung; Reward-based = Geldgeber erhalten z.B. Prototypen eines Produktes; Equity-bases = Beteiligung an Unternehmen)
Lassen Sie uns über Ihr Unternehmen sprechen. Aus welcher Motivation heraus haben Sie Seedmatch gegründet?
Während meiner Tätigkeit als Gründerberater habe ich die Herausforderungen von jungen Unternehmern beobachten können. Vor allem die Finanzierung ihrer Vorhaben durch Banken und VCs schien aufgrund des am Finanzmarkt herrschenden Misstrauens nach der Finanzkrise von 2008 noch schwieriger zu sein, als zuvor eh schon.
Gleichzeitig war es für Kleinanleger nicht möglich, per direktem Investment vom Erfolg eines Startups zu profitieren. Um diese Lücke zu schließen, haben wir das Modell der „Mikro-Investments“ entwickelt: Viele kleine Investments, die einfach, selbstbestimmt und online getätigt werden können, ergeben in Summe eine Finanzierungsrunde für Startups, die sonst möglicherweise nicht zustande käme – „Crowdfunding für Startups“ also.
Lief in den vergangenen Jahren alles wie am Schnürchen oder mussten Sie mit Seedmatch auch Rückschläge verkraften?
Allein die Gestaltung des Vertragswerkes und der Plattform stellte uns vor eine große Herausforderung, da wir mit der Idee völliges Neuland betreten haben. Das hat uns viele Ressourcen gekostet – aber im Ergebnis haben wir ein spannendes Investment- beziehungsweise Finanzierungsmodell konzipiert.
Wir bewegen uns im Bereich der High-Risk-Investments: Startups können scheitern, aus verschiedenen Gründen und im Schnitt häufiger als etablierte Unternehmen. Investoren, die über Seedmatch junge Unternehmen unterstützen, müssen mit diesem Risiko kalkulieren und mit dem Totalverlust des eingesetzten Kapitals rechnen. Von über 70 finanzierten Startups sind bisher circa 15 Prozent gescheitert. Jeder Einzelfall schmerzt den Investor und uns, auch wenn das Risiko bekannt ist.
Was haben Sie daraus gelernt?
Was wir daraus lernen? Wir arbeiten kontinuierlich daran, die Plattform und das Vertragswerk zu optimieren – natürlich auch nach rechtlichen und sicherheitsrelevanten Aspekten.
Wie funktioniert es konkret, wenn ich über Ihre Plattform investieren möchte?
Nutzer erstellen sich kostenlos einen Account bei Seedmatch und können dann entscheiden, ob und in welches Startup sie investieren wollen. Die Höhe eines Investments kann variiert werden: Beginnend ab 250 Euro bis maximal 10.000 Euro pro Startup.
Auf Welche Weise verdienen Sie Geld daran?
Seedmatch selbst finanziert sich über ein faires, erfolgsabhängiges Provisionmodell: Bei erfolgreichem Crowdfunding – und nur dann – bekommt Seedmatch vom jeweiligen Startup ein Honorar in Höhe von 5 bis 10 Prozent der gefundeten Summe.
In Zeiten, in denen es auf dem Sparkonto keine Zinsen gibt, ist die Frage nach der Rendite besonders entscheidend. Wie viel kann ich beim Crowdinvesting im Schnitt erzielen?
Es ist schwer bis unmöglich, beim Crowdinvesting einen Renditekorridor anzugeben. Theoretisch ist die Rendite unbegrenzt, da sie sich direkt am wirtschaftlichen Erfolg der Startups bemisst. Aber auch Ausfälle kann es geben. Der Portfolio-Ansatz empfiehlt Investoren daher ein ausgewogenes Portfolio, um derartige Verluste auffangen zu können.
Bisher gab es schon einige Rückkaufangebote, bei denen Investoren Gesamtrenditen von etwa 50 Prozent bekommen haben, sowie eines bei dem es laut Startup eine „deutlich dreistellige Rendite“ gab. Die Investoren sind auch im Falle eines Exits am Erlös beteiligt. Auch diesen Fall gab es bereits einmal. Erst in den nächsten Monaten und Jahren wird sich zeigen, welche Renditen langfristig realistisch sind.
Damit auch Anleger, die etwas weniger risikoaffin sind, Crowdinvesting als eine spannende Investment-Alternative entdecken, haben wir vor kurzem ein neues Investment-Angebot namens „Venture Debt“ entwickelt. Hier gewährt die Crowd jungen Wachstumsunternehmen Darlehen, die mit einem festen jährlichen Zins in Höhe von 8 Prozent verzinst werden. Zusätzlich haben die Investoren die Chance auf einen umsatzabhängigen Bonuszins.
Was waren die spektakulärsten Finanzierungsvorhaben, die Sie in den vergangenen Jahren begleitet haben? Aus welchen Branchen kamen diese überwiegend?
Spektakulär war zum Beispiel das Funding von Protonet, einem Hamburger Startup, das im Zeichen der Datenhoheit Mini-Server baut. Dort kamen innerhalb kürzester Zeit 3 Millionen Euro zusammen.
Wir sind generell offen für Unternehmen aller Branchen, egal ob B2C- oder B2B-orientiert.
Ansonsten interessieren mich persönlich vor allem Innovationen, die einen wirklichen Impact auf unser Leben haben können – wie etwa das Pharma-Unternehmen Riboxx aus Radebeul, welches über Seedmatch 1 Million Euro für die Entwicklung eines Krebsmedikaments eingesammelt hat.
Welche Trends beobachten Sie in der Branche? Wo geht die Reise hin?
Seit dem letzten Jahr ist Crowdinvesting durch das Kleinanlegerschutzgesetz reguliert. Die rechtlichen Anforderungen an die Plattformen sind damit gestiegen, sodass wir mit einer Professionalisierung der Szene rechnen.
Momentan wird Crowdinvesting für Immobilien immer bedeutsamer. Um diesen Trend mitzugestalten, haben wir im vergangenen Jahr die Crowdinvesting-Plattform Mezzany gegründet. Hier haben Investoren die Chance, über Crowdfunding verbriefte Wertpapiere von Immobilien-Projekten, perspektivisch aber auch von jungen Wachstumsunternehmen, zu erhalten.
Durch Ihre Arbeit haben Sie jede Menge Kontakt mit Startups. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund den Gründerstandort Sachsen ein?
Sachsen ist seit jeher ein Land der Erfinder. An dieser Tradition müssen sich heutige und künftige Innovatoren messen lassen. Einige Startups aus Sachsen stehen der nationalen und internationalen Konkurrenz in nichts nach, haben zum Teil sogar den Weg über Seedmatch und die Crowd gewählt – das Potenzial ist insgesamt aber noch groß.
Gerade in Sachen Infrastruktur und Förderung muss Sachsen noch einiges aufholen, um sich mit den Gründerzentren in Deutschland und Europa messen zu können. Durch staatliche Förderprogramme wird hier wertvolle Pionierarbeit geleistet, die aber leider noch nicht weit genug greift.
Ist Crowdinvesting manchmal auch eine Art Ausweg, weil bestimmte Gründer entweder keine staatlichen Fördergelder bekommen oder sich nicht in dieses manchmal sehr enge Korsett begeben wollen?
Wir haben Seedmatch gegründet, weil es für Startups einerseits sehr schwer ist, an benötigtes Kapital zu gelangen, und, wie Sie sagen, sie andererseits keine echten Anteile und damit keine Stimmrechte abgeben wollen. So oder so: Die Entscheidung, sein Startup per Crowdfunding zu finanzieren, muss bewusst fallen.
Bewusst, weil es zwar zum einen den Vorteil hat, dass man als Gründer keinerlei Stimmrechte an einen Investor abgeben muss und somit gestalterische Freiheit behält; zum anderen ist die Crowd eine Community, mit der aktiv kommuniziert werden muss. Wer dazu nicht bereit ist, sollte kein Crowdfunding machen. Zudem sollte der Aufwand für ein Crowdfunding nicht unterschätzt werden. Es kommen nur die Teams ins Ziel, die gut vorbereitet sind. Das sind mitnichten die Startups, die sonst keine Finanzierung bekommen, sondern die, die sich generell stark für ihre Sache einsetzen.
Herr Sauer, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Stephan Hönigschmid
Jens-Uwe Sauer – Gründer von Seedmatch:
Jens-Uwe Sauer studierte Rechtswissenschaft an der Technischen Universität Dresden, der Goethe Universität Frankfurt am Main sowie an der Paris X Nanterre. Vor der Gründung von Seedmatch, Econeers und Mezzany war er als Berater tätig und unterstützte Unternehmen in allen Unternehmensphasen – vor allem Gründer – dabei, ihre Geschäftsideen zu verwirklichen.
Seit dem Launch im August 2011 wurden über www.seedmatch.de bereits 87 erfolgreiche Finanzierungsrunden und über 26 Millionen Euro für Startups bereitgestellt (Stand: März 2016).