Sachsens lebendige Kunst- und Kulturszene lockt die Gründer an – Interview mit Startup-Experten
Dr. Mario Geißler von der TU Chemnitz hat eine Studie über die Startup-Szene im Freistaat erstellt. Er empfiehlt, dass Gründungswillige und etablierte Unternehmer noch besser zusammenarbeiten sollten.
Herr Dr. Geißler, Sie haben im Rahmen einer Studie die Start-up-Szene in Sachsen untersucht. Zu welchen Ergebnissen sind Sie dabei gekommen?
Die Ergebnisse zeigen, dass in Sachsen wettbewerbsfähige und attraktive Ökosysteme existieren. Betrachten wir die erhobenen Werte im Verhältnis zur Stadtgröße – beispielsweise im Verhältnis zu den regional ansässigen Erwerbstätigen, wie wir es auch vom KfW-Gründungsmonitor kennen – werden die prominenten Metropolen wie zum Beispiel Berlin und München in einzelnen Aspekten sogar übertroffen.
So erreichen Dresden und Leipzig unter anderem durch ihre zahlreichen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss Spitzenwerte im Bereich Wissenstransfer. Dies bietet Potenzial für innovative Gründungsideen und qualifizierte Mitarbeiter. Auch förderliche gesellschaftliche Strukturen in Gestalt einer aktiven Kultur- und Kreativszene sind in beiden Städten gegeben, während sie in Chemnitz deutlich weniger ausgeprägt sind.
Ziel sollte es sein, ein ausgeglichenes Ökosystem zu haben. In der Theorie wird hier von einer „Engpass-Funktion“ ausgegangen. Das bedeutet, dass der schwächste Wert eines Ökosystems die Leistungsfähigkeit des gesamten Ökosystems bremst. Die dahinter liegende Logik ist, dass es nichts nützt, die bestehenden Stärken weiter auszubauen, ohne sich den existierenden Schwächen zu widmen.
Privates Risikokapital ist noch immer Mangelware
Vor diesem Hintergrund finden sich Entwicklungspotenziale bei den Finanzierungsmöglichkeiten innovativer Start-ups. Definitiv lassen sich schnell Beteiligungsgesellschaften finden, die sachsenweit operieren und teilweise öffentlich gefördert werden. Allerdings können ohne Umwege nur relativ wenig private Risikokapitalgeber und Business Angels von außen aufgespürt werden.
Diese sind für angehende Gründer aber ebenso wichtig, da sie ihnen mit Know-how, Kapital und Netzwerk zur Verfügung stehen. Sollten entsprechende Angebote in den Regionen vorhanden sein, sind sie für angehende Gründer außerhalb privater Netzwerke aktuell nur schwer sichtbar.
Wie unterscheiden sich Leipzig, Chemnitz und Dresden mit Blick auf ihre jeweiligen Stärken und Schwächen?
Generell ist beim Gründungsgeschehen in den vergangenen fünf Jahren deutschlandweit ein Rückgang der Gründungszahlen zu beobachten. Hinsichtlich der sächsischen Untersuchungsregionen zeigt die Studie, dass sich bei den kreisfreien Städten die Stadt Leipzig diesem Trend widersetzt und im letzten Jahr gesteigerte Gewerbeanmeldungen verzeichnen konnte.
Dies passt auch zum Ergebnis, dass knapp 80 Prozent aller Leipziger Gründer, die an der Befragung teilgenommen haben, Leipzig als gründungsfreundlich einschätzen. In Dresden sind dies knapp zwei von drei Gründern und in Chemnitz die Hälfte aller Gründer, die ihre Region als gründungsfreundlich einschätzt.
Dresden und Leipzig können mit Berlin und München mithalten
Insgesamt offenbaren sich vor allem Dresden und Leipzig als starke Ökosysteme, die im Verhältnis zur Stadtgröße gegenüber den Start-up Metropolen Hamburg, München und Berlin durchaus konkurrenzfähig und attraktiv sind. Den Zahlen zufolge sind sich beide Ökosysteme auch recht ähnlich. So haben sie nahezu gleiche Werte bei den Dimensionen Infrastruktur, Wissenstransfer und Politik.
Leipzig scheint im Vergleich noch etwas günstigere Bedingungen mit Blick auf den Marktzugang und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu haben. Speziell im Business-to-Business-Bereich haben es Startups relativ leicht, Kunden in Form von Mittelständlern zu finden, da diese sich in Reichweite befinden.
Dresden hingegen hat leichte Vorteile bei der Unterstützung von Start-ups und bei deren Finanzierung. Dies ergibt sich vor allem aus der Existenz zweier regionaler Crowdfunding-Plattformen in Dresden, 99funken und Dresden Durchstarter. Entfernt man diesen Indikator, sind beide Städte gleichauf.
Wir haben besonders an dieser Stelle sehr interessantes und wichtiges Feedback von Gründern erhalten und werden diese Indikatoren für zukünftige Studien noch einmal kritisch auf den Prüfstand stellen, um das Modell noch besser an die Realität anzupassen.
Leipzig ist sächsische Crowdfunding-Hauptstadt
Im Vergleich ist das Ökosystem in Chemnitz weniger stark ausgeprägt. Verbesserungspotenziale liegen hier vor allem in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und dem Zugang zu privaten Risikokapitalgebern und Business Angels.
Überraschend war für mich vor allem das Verhältnis einzelner Indikatoren. Ein Beispiel sind die identifizierten Crowdfunding-Projekte in den Regionen. In Dresden konnten wir bis 2016 insgesamt 271 Projekte identifizieren, in Leipzig waren es sogar 508 Projekte und in Chemnitz 28.
Haben die sächsischen Städte im Vergleich mit großen Gründerzentren wie Berlin oder München überhaupt eine Chance, langfristig zu bestehen und sich ihren Platz im Wettbewerb mit anderen Regionen zu erkämpfen? Wie könnten mögliche Strategien aussehen, was kann die Politik tun?
Wie gesagt, wenn man die beobachteten Werte ins Verhältnis zur Größe der Stadt und ihrer Einwohner setzt, ist Sachsen durchaus wettbewerbsfähig. Analysiert man die absoluten Resultate, wird Sachsen in verschiedenen Studien bei Gründungsaktivitäten allerdings immer eine durchschnittliche Rolle zugesprochen.
Dieses Zusammenspiel und die Entwicklung der Zahlen werden wir in Zukunft intensiv analysieren, um entsprechende Hinweise geben zu können. Ebenso arbeiten wir daran, die Studie weiter auszudehnen, um mehr Vergleichsstandorte zu haben. Dann lassen sich meiner Meinung nach auch fundierte Implikationen ableiten.
Aktuell haben wir ein Schlaglicht auf die Bedingungen geworfen. Damit möchten wir der Diskussion eine gewisse Struktur anbieten und sehen es als Anknüpfungspunkt, um mit verschiedensten Anspruchsgruppen ins Gespräch zu kommen und mehr über das Zusammenwirken der einzelnen Faktoren zu erfahren. An dieser Stelle ist sich auch die Forschung noch nicht einig.
Regionale Erfolgsgeschichten und eine Vernetzung der Akteure sind wichtig.
Es gibt allerdings starke Hinweise, dass vor allem der regionalen Start-up-Community und regionalen Erfolgsgeschichten eine bedeutende Rolle zukommt. Demnach gilt es, eine starke Gemeinschaft aus Unternehmern und Gründungswilligen aufzubauen und diese innerhalb und außerhalb des Ökosystems gut zu vernetzen.
Einzelne Ansätze sehen die Politik hierbei langfristig eher in einer unterstützenden Rolle als in einer Führungsrolle. Nachhaltigkeit, so die Theorie, bedingt den Aufbau einer starken Community, Marktchancen und ein gewisses Momentum.
Herr Dr. Geißler, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Stephan Hönigschmid
Unter gruendeninsachsen.de kann die Studie über das „Start-up-Ökosystem Sachsen“ detailliert nachgelesen werden.
Kurzbiografie:
Dr. Mario Geißler beschäftigt sich bereits seit langem mit Startups. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gründungsunterstützung erlebte er über Jahre hinweg, welche innovativen Ideen in den Köpfen von Studenten, Mitarbeitern und Professoren stecken. Seit Ende 2013 ist er Juniorprofessor für Entrepreneurship am Stiftungslehrstuhl der Sparkasse Chemnitz an der Technischen Universität Chemnitz.
Er bietet regelmäßig Vorlesungen, Seminare und Workshops zum Thema Unternehmensgründung an. Im Rahmen seiner Forschung beschäftigt er sich vor allem mit den frühen Phasen des unternehmerischen Prozesses. Entsprechende Schwerpunkte sind Einflussfaktoren auf die Entscheidung zur Unternehmensgründung, die Identifikation unternehmerischer Gelegenheiten sowie die Auswahl und Weiterverfolgung identifizierter Gelegenheiten.