Zu Besuch beim Einhorn: So geht es jetzt bei Staffbase weiter
Die Firma Staffbase hat Geschichte geschrieben. Als erstes ostdeutsches Startup erreichte sie eine Milliardenbewertung und wurde damit zum Einhorn. Im Founderella-Interview kündigt Mitgründer Frank Wolf die nächsten Schritte an. Langfristig will Staffbase an die Börse gehen und bereitet sich schon jetzt darauf vor.
Founderella: Erst vor Kurzem ist Staffbase zum Einhorn geworden, hat also jetzt eine Milliardenbewertung. Wie fühlt man sich eigentlich so als Einhorn?
Frank Wolf: Erstmal ändert sich nicht so viel. Das ist ja zunächst nur ein virtueller Titel, der auf einer Bewertung beruht, die natürlich schon eine Rolle spielt, weil wir natürlich neues Kapital aufgenommen haben. Aber im Tagesgeschäft macht es erstmal wenig aus.
Was wir schon bemerken ist, dass die Außenwahrnehmung eine andere ist. Wir bekommen jetzt mehr Bewerbungen, auch außerhalb von Sachsen. Es gibt einen klaren Stempel, der auf unserem Startup ist: Hey, die die haben eine Größe, die viele andere Startups nicht haben und die man auch in Sachsen so noch nicht gesehen hat. Das ist spannend. Es ist auch hilfreich in Richtung unserer Kunden, weil es ein Zeichen ist, dass es da eine Lösung gibt, die schnell wächst.
Also gibt das Kapital eher einen zusätzlichen Schub?
Das ist richtig. Wir haben ja schon immer Finanzierungen bekommen. Staffbase hat eine ganze Reihe an Finanzierungsrunden gemacht. Unser Geschäftsmodell ist darauf ausgelegt, dass wir schnell wachsen wollen – und das geht mit zusätzlichem Kapital am besten.
Anfang der 2.000er-Jahre gab es am Neuen Markt Stars wie die Medienfirma EM.TV. Die war zeitweise mehr Wert als die Allianz. Dabei ist es aber nicht geblieben. Die Bewertung ging dann in Folge deutlich herunter. Daher meine Frage: Ist eine Milliardenbewertung an der Börse mit einer Milliardenbewertung aufgrund von Investorengeldern vergleichbar oder sind das zwei paar Schuhe?
Ich würde sagen, das ist was anderes und das sage nicht nur ich. Viele habe sich ja vor Kurzem an der Börse gefragt, ob wir gerade eine Blase sehen. In der Tat waren viele Bewertungen sehr hoch und sind jetzt ein Stückweit runtergekommen, beispielsweise die Tech-Aktien an der Nasdaq. Allerdings haben diese Unternehmen im Kern alle ein sehr gesundes Geschäftsmodell. Die machen Umsatz, die haben viele Kunden und genauso ist es bei Staffbase auch. Wir haben 2.000 Kunden und eine Net Retention Rate von deutlich über 100 Prozent. Das heißt, selbst wenn wir keine Neukunden gewinnen würden, machen wir trotzdem Jahr für Jahr mehr Umsatz mit unseren Bestandskunden. Zudem können wir ihnen noch zusätzliche Dinge verkaufen.
Also guckt man gar nicht so sehr auf die Bewertung an sich, sondern schaut erstmal, dass man ein gesundes Geschäftsmodell hat?
Ja, das Thema Bewertung spielt einfach eine Rolle bei der Finanzierungsstrategie. Wenn du ein Marktumfeld hast, wo die Bewertungen hoch sind, macht es einfach Sinn, dass ich mir Kapital reinhole und die Basis für weiteres Wachstum lege. Allerdings ist es auch wichtig, keine Spaßbewertungen zu haben, weil man die vorhandene Bewertung bei der nächsten Finanzierungsrunde immer übertreffen sollte.
Als Einhorn hat Staffbase gewissermaßen eine Art Star-Status in der Startup-Welt erreicht. Wie geht es nun weiter?
Auf dieser Basis gar nicht. Wer uns kennt weiß, dass wir in erster Linie eine schöne, große und coole Firma bauen wollen. Ob man da jetzt den Star-Status hat, ist uns eigentlich egal. Ich finde es ein schönes Zeichen, dass man hier in Sachsen große Firmen bauen kann. Aber klar, kann man sich nun fragen: Wo geht die Reise hin? Bei der Größe, die wir erreicht haben, wird sicherlich irgendwann ein Börsengang ein Thema sein. Als langfristiges Ziel gucken wir uns das bereits an, weil man zuvor über Jahre Prozesse im Unternehmen etablieren muss, um das vorzubereiten.
Weil der Begriff Sachsen gefallen ist, muss ich mal fragen: Seid Ihr mit Staffbase trotz oder wegen Sachsen so erfolgreich? Wie würdest Du die Lage für Gründer im Freistaat einschätzen?
Das ist eine schöne Formulierung, Stephan, trotz oder wegen Sachsen. Ich war letzte Woche auf dem Startup-Festival „Machn“ in Leipzig und habe über das Gründen in Sachsen gesprochen. Wenn Du Dir das Für und Wider ansiehst, gibt es klar einige Punkte, die für Sachsen sprechen. Vielleicht der banalste Punkt ist: Hier ist es schön. Die Lebensqualität ist sehr gut und es gibt tolle Universitäten, mit ganz vielen jungen Talenten, die nachkommen. Auch das Schulwesen ist fantastisch, das beste in Deutschland.
Du hast hier einfach eine sehr gute Möglichkeit, qualifizierte Leute zu finden. Das sehen wir auch bei Staffbase. Das Rückgrat unseres Engineering-Teams sitzt komplett in Sachsen. Das ist eine große Stärke im Vergleich, wenn wir die alle in San Francisco oder in Berlin oder in München hätten. Darüber hinaus gibt es in Sachsen inzwischen ein Cluster von Tech-Unternehmen. Silicon Saxony ist so ein Beispiel, wo sich über 400 Unternehmen organisiert haben. Wenn ich das mit vor zehn oder zwanzig Jahren vergleiche, ist das ein deutlicher Unterschied.
Dennoch ist es ja in Sachsen anders, als wenn man in im Großraum München oder im Rhein-Main-Gebiet gründet. Diese gewachsenen Strukturen werden wir ja in absehbarer Zeit nicht bekommen…
Genau. Das ist mein dritter Punkt. Da wir in Sachsen keine Dax-Konzerne haben, muss man von Anfang an ein bisschen außerhalb denken. Ich kann nicht sagen: Ich habe mein lokales Netzwerk und verkaufe erstmal hier vor Ort. Ich muss bundesweit denken. Wir bei Staffbase haben zudem sofort international gedacht. Bereits nach 18 Monaten sind wir in die USA gegangen. Das war viel schneller, als das andere Startups machen.
Wir erwirtschaften heute die Hälfte unseres Umsatzes international und haben im Ausland auch das meiste Wachstum. In Sachsen ist es dabei ein wenig so, wie wenn du in kleinen Ländern wie Estland, Lettland oder den Niederlanden gründest. Du bist gezwungen, schneller in die Welt zu ziehen. Und das sollte man auch machen, weil es dort so viel mehr Möglichkeiten gibt.
Lass uns zum Produkt kommen. Dabei ging es ja, vereinfacht gesagt, darum, das „Schwarze Brett“ in der Firma zu digitalisieren, sodass auch jemand, der nicht am Schreibtisch arbeitet, zum Beispiel der Baggerfahrer, alles mitbekommt. Mittlerweile habt Ihr Euch Richtung interne Kommunikation weiterentwickelt. Wie ist da der momentane Stand?
Das hast Du korrekt beschrieben. Ich würde sagen, wir haben am Anfang die Mitarbeiter-App mit in dem Markt erfunden und im deutschsprachigen Raum sehr bekannt und groß gemacht. Als Konzept ist die Mitarbeiter-App heute an vielen Stellen Standard und kommt mehr und mehr in die Jahres- und Budgetpläne der Unternehmen.
In der weiteren Entwicklung haben wir nun neue Themen hinzugefügt. Wir haben ein Intranet gebaut, wir haben das Thema E-Mail mit Bananatag ergänzt und mit Valo die Integration in die Microsoft-Welt mit Sharepoint und Teams erreicht. Durch den Kauf von Dirico ist jetzt auch die Kommunikationsplanung Teil des Pakets. In die Integration dieser neuen Anwendungen fließt gerade viel Entwicklungsaufwand.
Und die Vision ist ganz klar: Unternehmenskommunikation ist ein entscheidender Bestandteil von erfolgreichen Unternehmen. Bisher wird sie aber häufig sehr verteilt an einzelnen Punkten gemacht. Es gibt überhaupt keinen Prozess dazu, wie man das gut managt, sondern das findet in der Planung irgendwo in Excel statt und wird dann in verschiedene Kanäle gekippt, ohne dass man weiß, wie das Feedback war. Man kriegt es nicht wieder zusammen. Und da wollen wir eine Lösung schaffen: Eine Kommunikationsplattform für alle Kanäle.
Da muss ich mal eine ketzerische Frag stellen. Der Baggerfahrer, der außerhalb arbeitet, hat früher zwar nicht viel mitgekriegt, er hatte aber auch seine Ruhe. Führt die Staffbase-App nicht zu mehr Kontrolle?
Da würde ich komplett widersprechen, weil die App so nicht funktioniert. Bei unseren Kunden ist die App immer freiwillig. Der Baggerfahrer kann daher sagen, ob er die App will oder nicht. Zweitens gibt es keine technischen Features, die es erlauben, den Baggerfahrer in irgendeiner Art zu kontrollieren. Das ist in Deutschland sogar gesetzlich untersagt. Darüber wachen auch die Betriebsräte. Das sind alles Dinge, die mit der App nicht gehen, dutzende Betriebsräte haben sich davon schon ein Bild gemacht.
Für mich ist eine andere Perspektive zielführender: Was ist der Mehrwert? Am Ende muss es so sein, dass der Baggerfahrer von selbst sagt, dass er die App haben will, weil er dort bestimmte Informationen bekommt, die praktisch sind. Das können der Gehaltsnachweis oder die Urlaubsplanung sein, aber auch Mitarbeiter-Rabatte in einem nahegelegenen Fitnessstudio. Je mehr Mehrwert es gibt, desto höher die Nutzung. Wir sehen das bei unseren Kunden, dass mit der App die Nutzung dramatisch höher ist als bei klassischen Intranets, wenn man das Konzept gut umsetzt.
In der Öffentlichkeit wird ja Staffbase noch als Startup gesehen. Wie lange gilt man überhaupt als Startup und wie lässt sich einerseits der frische Gründergeist bewahren und andererseits ein etabliertes Unternehmen aufbauen?
Meine Tochter mich auch kürzlich gefragt, wie lange man ein Startup ist. Und ich war erstmal sprachlos. Gibt es da eine gute Definition? Wir fühlen uns nach wie vor als Startup, weil man mit dem Begriff etwas hat, das sagt: Es ist ein schnell wachsendes Unternehmen, das den Markt verändert und erobert. Gleichzeitig haben wir jetzt 700 Mitarbeitende an über elf Standorten weltweit. Und klar, werden wir da ein bisschen mehr wie ein Corporate, weil es einfach bestimmte Prozesse gibt, die du einführen musst, und mehr dokumentiert werden muss. Erst recht, wenn du Richtung Börsengang guckst.
Dennoch wollen wir unsere Hierarchien schlank halten und die Möglichkeit schaffen, dass man im Unternehmen sehr einfach jeden anderen ansprechen kann, dass es da keine Barrieren gibt nach dem Motto: Da darfst Du jetzt nicht reden. Auch wir als Gründer und das Senior Management Team sitzen mit den anderen zusammen mitten im Geschehen. Wir versuchen viel, operativ dabei zu sein in Kundengesprächen, in Vertriebsgesprächen. Da lernst du, wie der Markt tickt und wo wir Dinge verbessern können.
Wirkt sich das Klima auf die Personalgewinnung aus? Absolventen der Unis können ja auch sagen, dass sie lieber ein ruhiges Leben in einem Konzern haben wollen. Im Startup weht da ja noch mal ein anderer Wind. Wie würdest Du das einschätzen?
Das ist ein super Punkt, den Du da machst. Ich selber habe in der Beratung angefangen in meiner Karriere. Und da war allen klar, dass das eine Lern- und Leistungskultur ist, in der man sich beruflich entwickeln kann. Und das ist durchaus auch eine Kultur, die wir hier leben wollen. Wir gucken bei unseren Prozessen zudem nicht nur, wie macht es jemand rechts und links in Dresden oder Leipzig, sondern wir wollen auch über unsere Investoren wissen, wie machen das die New Yorker Startups, wie macht man das im Silicon Valley, was ist der Standardprozess, was ist die beste Software der Welt, um das jeweilige Problem zu lösen?
Eine spannende Frage ist derzeit auch, wo man arbeitet. Seit es Corona gibt, ist das Homeoffice auf dem Vormarsch. Gleichzeitig hat Staffbase hier in Dresden ja auch schöne Räume im früheren Café Prag. Welche Strategie fahrt Ihr diesbezüglich?
Wir handhaben das flexibel. Das kann jeder so entscheiden wie er will. Obwohl das relativ teuer ist, wollen wir das Büro als Arbeitsplatz und Treffpunkt beibehalten. Wir bemerken aber auch, dass wir nicht annähernd die Hälfte der Leute wieder im Büro sehen. Nach Rücksprache mit anderen Unternehmen in Dresden, geht es vielen ähnlich. Diejenigen, die vor Ort sind, sind auch da, weil es eine tolle Community ist. Man isst gemeinsam, wir kochen einmal die Woche zusammen. Es gibt Freigetränke und Snacks. Trotzdem gibt es aber auch Mitarbeitende, die so gut wie nie hier sind. Das ist schon langfristig eine offene Frage, wie man damit umgeht.
Muss man denn überhaupt, überspitzt gesagt, Leute an einem Ort in einen Raum sperren, damit am Ende Innovationen herauskommen?
Ich glaube, du wirst immer in einem Unternehmen eine Phase haben, wenn sich Dinge sehr ändern, und Innovation ist ja nur ein Änderungsgrund, dann hast du einen extrem hohen Kommunikationsaufwand. In solchen Phasen ist es einfacher, sich im Büro oder beim Mittagessen zu treffen. Wenn hingegen alles klar ist und es stabile Prozesse gibt, dann geht Homeoffice lange gut.
Startups sind ja in Sachsen vor allem in den großen Städten wie Dresden, Leipzig und Chemnitz angesiedelt. Ich habe mich immer gefragt, ob sie auch in der Provinz existieren könnten, Meißen ist ja beispielsweise ebenfalls sehr schön?
Ich denke, dass das auf jeden Fall möglich ist. Schließlich sitzt das das größte deutsche Tech-Unternehmen SAP ja in Walldorf, was ja wirklich ein Nest ist. Und im alten Bundesgebiet sieht man das häufiger. Warum das jetzt in Sachsen anders ist, hängt sicherlich damit zusammen, dass in den großen Städten die Universitäten sind und es dort jede Menge Talente gibt. Das macht es einfacher. Trotzdem gibt es ja auch bei uns einzelne Beispiele wie Christoph Jentzsch, der in Mittweida ein Startup aufgebaut hat.
Noch zum Abschluss: Was wünscht Du Dir für den Startup-Standort Sachsen. Was wäre so eine Vision für die nächsten Jahre?
Positiv ist, dass in Sachsen im vergangenen Jahr 32 Unternehmen finanziert wurden. Das ist weniger als in Berlin oder in Bayern, aber im bundesweiten Durchschnitt gar nicht so schlecht und deutlich mehr als in Thüringen oder Sachsen-Anhalt. Ansonsten denke ich, dass Sachsen immer noch zu sehr als Mikroelektronik-Standort vermarktet wird. Man kann die Geschichte von Sachsen ja mittlerweile auch über junge innovative Branchen erzählen.
Darüber hinaus braucht es ein Startup-Ökosystem, wo Gründer Unternehmen verkaufen, Kapital haben und das wieder investieren. Das fängt in Sachsen gerade so langsam an. Das Schwungrad geht am Ende richtig los, wenn du 20, 30 oder 40 Business Angels hast, die alle schon mal gegründet haben, die die gesamte Reise kennen.
Interview: Stephan Hönigschmid