Nach den Finanzmärkten mischt dieses Startup nun Airbnb & Co. auf
Die Mittweidaer Firma Slock.it ermöglicht es per Blockchain, dass Gegenstände wie Autos oder Türschlösser Zahlungen annehmen oder selbst bezahlen können. Banken sind dafür fast nicht mehr notwendig.
Mittweida. Diese Firma mischt die ganze Welt auf. Eigentlich sucht Christoph Jentzsch 2016 nur eine Möglichkeit, Wachstumskapital für sein Mittweidaer Startup Slock.it aufzutreiben. Was dann folgt, ist ein Wirtschaftskrimi wie man ihn nicht alle Tage erlebt. Mit DAO (Dezentrale Autonome Organisation) hat Jentzsch (32) zur Finanzierung eine weitere Firma geschaffen, die vollkommen dezentral funktioniert und keine Mitarbeiter hat, weil es sie nur in Gestalt von Smart Contracts (Intelligente Verträge) im Internet gibt.
150 Millionen Euro in vier Wochen eingesammelt
Grundlage dafür ist die sogenannte Ethereum-Blockchain-Technologie. Wie ein Investmentfonds sammelt DAO Geld ein, aber keine einzelne Person kann bestimmen, wofür es ausgegeben wird. Der Grund: Entscheidungen werden nicht hierarchisch von einem Firmenlenker getroffen, sondern von Investoren nach dem Mehrheitsprinzip – je nachdem wie viel sie investiert haben. Der Erfolg ist überwältigend. Ganze 150 Millionen Dollar kommen innerhalb von vier Wochen zusammen und katapultieren die Firma ins internationale Rampenlicht. Anstatt jedoch – mit Zustimmung der Vertragspartner – von dem Geldsegen profitieren zu können, ziehen über Slock.it bald dunkle Wolken auf.
Hacker wollten 50 Millionen Euro abzweigen
Als ein Hacker eine Lücke im Code ausnutzt und versucht, 50 Millionen Dollar abzuzweigen, folgt der jähe Absturz. Am Ende ist nicht nur das einst vielversprechende DAO-Projekt gescheitert, sondern auch das Vertrauen in die Blockchain und in Kryptowährungen erschüttert. Sogar die US-Börsenaufsicht SEC ermittelt und erlässt wenig später Regeln für diese Art der Geldschöpfung, die bis dahin gar nicht existierten. „Die Ethereum-Community hat den Fehler am Ende zwar behoben und die Investoren haben ihr Geld zurückbekommen. Aber das war schon ein Wechselbad der Gefühle. Zuerst ging es mit unserer Firma schnell bergauf und dann schnell bergab“, berichtet Jentzsch.
Entmutigen lässt er sich davon trotzdem nicht. Obwohl diese Form der Finanzierung scheitert, findet der studierte Physiker andere Geldgeber und treibt mit seinem Bruder Simon die Entwicklung von Slock.it weiter voran. Im Vordergrund steht dabei die Idee, das Prinzip der Blockchain auf das Internet der Dinge zu übertragen. Anschaulich wird das an einem Beispiel: Wer heute via Airbnb ein Zimmer mietet oder sich per Uber chauffieren lässt, muss sich zunächst auf der jeweiligen Plattform anmelden und außerdem Zahlungsmittel wie die Kreditkarte hinterlegen.
Nutzer öffnet Ferienwohnung mit dem Smartphone
Diese Zwischenschritte schafft Slock.it ab. „Mit unserer Technologie hält der Kunde einfach nur noch sein Smartphone an ein intelligentes Schloss der Wohnungstür und automatisch sind die Geldtransaktion und der Vertragsabschluss erledigt. Anschließend öffnet sich die Tür für den vorher definierten Zeitraum“, erklärt Christoph Jentzsch. Anzuwenden sei dieses Prinzip auf viele Fälle. So könne man zahlen, um eine Waschmaschine zu nutzen oder ein autonom fahrendes Auto begleicht selbständig die Parkgebühren. Denkbar seien auch ergänzende Lösungen wie Versicherungen, die sich an einen Vermietungsvertrag für eine Wohnung oder ein Auto andocken und anhand des Zeitstempels die Police ausstellen.
Keine Banken oder Kredikartenfirmen notwendig
Das Besondere ist dabei, dass es keinen Mittler wie eine Bank oder eine Kreditkartenfirma gibt. Die Zahlung erfolgt direkt vom Handy ans Türschloss oder an die Waschmaschine. Die Ethereum-Blockchain kann man sich daher am besten als digitales Bargeld vorstellen. Wenn Transaktionen zustande kommen, dann ist stets verbindlich ein Vertrag geschlossen worden und das Geld fließt. Überprüft werden diese Geschäfte nicht von einer einzigen Instanz, sondern per Mehrheitsprinzip von Tausenden Minern auf der ganzen Welt. Innerhalb von Sekunden überprüft diese Software auf Computern rund um den Erdball die Transaktion.
Dass das nicht nur graue Theorie ist, sondern wirklich funktioniert, hat Slock.it unter anderem 2017 bei einem gemeinsamen Projekt mit Innogy bewiesen. „Das Projekt hieß Share and Charge. Wir haben dort geholfen, Elektroladesäulen an die Blockchain anzubinden und sie damit auch vermietbar zu machen“, sagt Jentzsch. Da es momentan noch keine digitale Währung gibt, muss das Geld von den Nutzern zuvor auf einem Konto hinterlegt werden.
Firma lockt Programmierer in sächsische Provinz
In den vergangenen Jahren ist die Nachfrage nach derartigen Lösungen stetig gestiegen, weshalb sich Slock.it auf Wachstumskurs befindet. Nachdem bereits 15 Mitarbeiter in Mittweida tätig sind, kommen bald fünf weitere hinzu. Fast alle Angestellten sind Programmierer. Und die arbeiten gern in der sächsischen Provinz. „Ich habe es mir schwieriger vorgestellt, die Leute hierher zu bekommen, aber unser Thema und unsere Firma haben genügend Anziehungskraft. Unter anderem arbeiten bei uns Menschen aus Brasilien, Japan und der Türkei“, sagt der gebürtige Mittweidaer.
Hochschule startet Blockchain-Studiengang
Um den Standort weiter zu stärken und potenziellen Nachwuchs zu gewinnen, hat die Firma gemeinsam mit der örtlichen Hochschule das Blockchain Competence Center Mittweida ins Leben gerufen. Außerdem startet im Oktober ein Blockchain-Masterstudiengang. Laut Jentzsch einer der ersten auf dem europäischen Festland.
Stephan Hönigschmid