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30 Jahre Deutsche Einheit. Viele Reportagen haben sich in den vergangenen Wochen diesem Thema gewidmet. Wer die damalige Gefühlslage verstehen möchte, muss sich nur die Slogans oder Schlagzeilen aus dieser Zeit ansehen. So war bei einem Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl in Dresden am 19. Dezember 1989 auf einem Transparent zu lesen: „Helmut, nimm uns an der Hand, führ' uns in das Wirtschaftswunderland“. Das war sicher reichlich infantil, zeigt aber, wie hoch die Erwartungen waren.

Stimmung schlägt um

Wie schnell die Stimmung dann umschlug, als sich herausstellte, dass das mit dem Wirtschaftswunderland doch nicht so einfach wird und gleichzeitig zwielichtige Geschäftemacher aus dem Westen den Unmut der Ossis auf sich zogen, verdeutlicht eine Schlagzeile, die am 3. Mai 1991 Franz-Josef Wagner als Chefredakteur der „Super!“-Zeitung auf den Weg brachte: „Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen – ganz Bernau ist glücklich, daß er tot ist.“ Später hat Wagner die Schlagzeile als Fehler bezeichnet. Dennoch bringt sie einen bestimmten Zeitgeist zum Ausdruck, vor allem die Ohnmacht und die Wut der Menschen angesichts der neuen Zeit.

Furcht vor der Freiheit

Grund dafür hatten sie. Denn die Lage im Osten war äußerst schwierig. Durch die herbeigesehnte Währungsreform war ein Großteil der ostdeutschen Wirtschaft über Nacht nicht mehr konkurrenzfähig. Viele Menschen verloren ihre Arbeit. Hinzu kam ein durch die DDR-Sozialisation verursachtes Mentalitätsproblem, das sicher nicht auf jeden zutraf, aber dennoch verbreitet war. Mit einem Gleichnis lässt es sich gut beschreiben: Ein Vogel, dem im Käfig die Flügel gestutzt worden sind, kann auch dann, wenn er in Freiheit gelangt, nicht mehr fliegen. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang auch von „Erlernter Hilflosigkeit“.

Der Blick zurück ist daher neben aller Freude über die Einheit nicht nur ein glücklicher. Deutlich angenehmer waren daher die späteren Jahre, als es Stück für Stück voranging, sowie die Gegenwart. Aus den Menschen im Osten (aber auch im Westen) ist zwar noch immer kein Volk von Unternehmensgründern geworden, trotzdem gibt es eine muntere Gründerszene.

Mit Founderella beobachten wir seit sechs Jahren, was sich in den Regionen Dresden, Leipzig und Chemnitz tut. Da gibt es junge Startups wie zum Beispiel Wandelbots in Dresden oder Staffbase in Chemnitz, die spielen mittlerweile fußballtechnisch ausgedrückt nicht nur Bundesliga, sondern sogar Champions League.

Startups als Chance für den Osten


Die selbstbewussten Gründer solcher Firmen kennen zwar ihre Wurzeln, dennoch denken sie nicht in Kategorien wie Ost und West, sondern sind international ausgerichtet. Zielstrebig und furchtlos gehen sie ihren Weg und verkörpern damit ein neues Lebensgefühl im Osten. Obwohl Startups von der Politik mitunter noch als Nischenthema gesehen werden, findet dort in einigen Bereichen die nächste industrielle Revolution statt. Die Karten werden dabei neu gemischt. Der Osten hat die Chance, eine herausragende Rolle zu spielen. Und vielleicht gehen ja aus der einen oder anderen Gründung in ein paar Jahren sogar Dax-Konzerne hervor. Reif genug dafür wäre die Zeit jedenfalls.

Ein schönes Wochenende wünscht die Founderella-Redaktion

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Schnelle Hilfe beim Laborunfall

Materialien mit Nanoteilchen gelten als Milliardengeschäft. Allerdings können sie bei der Herstellung auch gefährlich sein. Ein Dresdner Startup will deshalb den Arbeitsschutz verbessern.

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Dr. Jonas Schubert, Dr. Max Schnepf und Felix Klee (von links) sind die Gründer von Derma Purge. Foto: e-cine.de für Derma Purge
Dresden. Kratzfeste Lacke, Schmutz abweisende Oberflächen, schnell aushärtender Beton: Materialien mit Nanopartikeln gelten als neues Wundermittel. Es wartet nicht weniger als ein Milliardenmarkt. Dennoch lauern auch Gefahren. Zwar nicht so sehr bei den Endprodukten wie Lack, wo die Nanoteilchen schon gebunden sind, sondern eher bei der industriellen Herstellung sowie in Forschungslaboren.

Trotz standardisierter, hoher Sicherheitsvorkehrungen komme es immer wieder ungewollt zu einer Verunreinigung der Haut. „Die Nanopartikel lassen sich weder mit Wasser und Seife noch mit anderen Dekontaminationsmitteln entfernen“, sagt einer der Gründer des Dresdner Startups Derma Purge, Felix Klee (31). Das kann gefährlich sein. Gelangen die Nanopartikel (Nano = griechisches Wort für Zwerg), die mit einem Durchmesser von weniger als 100 Nanometern etwa so groß wie ein Virus sind, zum Beispiel durch Einatmen in den Körper, besteht die Möglichkeit, dass sie in der Lunge Entzündungen hervorrufen. Entzündliche Strukturen können wiederum zu Krebs führen.

Wasser und Seife reichen nicht

Um Arbeitnehmer vor diesen Gefahren zu schützen, hat sich das Team von Derma Purge etwas überlegt: „Da Nanopartikel die Haut durchdringen oder durch Kontaminationsverschleppung (z.B. wenn die Hände den Mund berühren) mündlich aufgenommen werden können und somit ein potenzielles Risiko für die Gesundheit darstellen, ist eine schnelle und vollständige Entfernung von immenser Bedeutung. Das hat uns motiviert, das Gel DermaPurge NANO zu entwickeln“, sagt Felix Klee, der sich in dem Startup um die betriebswirtschaftlichen Fragen kümmert.
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Mit dem Gel von Derma Purge soll es möglich sein, die Nanopartikel nahezu vollständig zu entfernen. Foto: Derma Purge
Das Gel kommt gewissermaßen ins Spiel, wenn die Seife versagt. Weil Wasser und Seife die Hautporen erweitern und so ihre Barrierefunktion beeinträchtigen, sind sie ungeeignet. Mit dem Gel von Derma Purge sollen nach Angaben des Startups hingegen nahezu alle Partikel (mehr als 99 Prozent) entfernt werden.

Arbeitsunfall bringt Gründer auf die Idee

Herausgefunden haben dies die Chemiker Jonas Schubert (33) und Max Schnepf (29) – die Ideengeber des Projekts – durch einen Arbeitsunfall am Dresdner Leibniz-Institut für Polymerforschung. „Die Geschäftsidee geht auf einen Unfall einer studentischen Hilfskraft mit Nanopartikellösung zurück.“ Jonas Schubert und Max Schnepf hätten zu der Zeit am Institut an ihrer Promotion und mit der studentischen Hilfskraft zusammengearbeitet.

„Trotz der vorgeschriebenen Sicherheitsausstattung (Technische Regeln für Gefahrstoffe 527 – Umgang mit Nanomaterialien) kam die Haut der studentischen Hilfskraft hinter dem Handschuh in direkten Kontakt mit Nanopartikellösung“, berichtet Felix Klee. Der Versuch, die betroffenen Stellen mit Wasser, Seife sowie herkömmlichen Dekontaminationsmitteln zu reinigen, sei nicht erfolgreich gewesen. Dies sei jedoch nur aufgefallen, da die winzigen Partikel unter UV-Licht sichtbar geworden sind. „Weder Ärzte noch der Giftnotruf konnten Empfehlungen zur Dekontamination geben. Das war für uns der entscheidende Anlass, uns genauer mit der Problematik auseinanderzusetzen“, sagt Klee.

Produkt kommt 2021 auf den Markt

Derma Purge will das Nano-Kit voraussichtlich selbst herstellen und an Forschungseinrichtungen und die Industrie vertreiben. Der Markteintritt ist für 2021 geplant. Gegenwärtig ist das Startup noch über ein EXIST-Stipendium finanziert. Im zweiten Quartal des nächsten Jahres will laut den Verantwortlichen ein Business Angel bei Derma Purge einsteigen.

Derzeit sehen die Gründer keine vergleichbaren Lösungen auf dem Markt. Um die Erfindung zu schützen, hat das Dresdner Leibniz-Institut ein Patent für das Gel angemeldet. „Es existiert keine Produktlösung auf dem Markt, mit der Nanopartikel effektiv von der Haut entfernt werden können“, sagt Felix Klee, der allein in Europa und den USA ein geschätztes Marktpotenzial von 16 Millionen Euro sieht.

https://www.dermapurge.com

QUICK'N DIRTY

  • Staffbase übernimmt Startup für Mitarbeiterbefragungen: Das Chemnitzer Startup Staffbase hat die Berliner Firma Teambay übernommen. Das teilt Staffbase auf seiner Internetseite mit. Teambay ist ein Anbieter für Mitarbeiterumfragen. Er gibt Unternehmen per Software die Möglichkeit, die Belegschaft bei Themen wie zum Beispiel Zufriedenheit, Produktivität und Führung aktiv in die Entwicklung der Firma mit einzubinden. Staffbase ist nach eigenen Angaben Marktführer bei Mitarbeiter-Apps und hat aktuell reichlich 400 Kunden. Das Startup hat vereinfacht gesagt die Wandzeitung von Unternehmen in eine App transferiert. Wie viel die Chemnitzer für ihre erste Übernahme bezahlt haben, teilen sie nicht mit.
  • Gesetz gegen Abmahnmissbrauch kommt: Der Bundestag hat ein Gesetz gegen missbräuchliche Abmahnungen verabschiedet. Kernstück ist, dass kleinere Verfehlungen wie zum Beispiel Fehler im Impressum zwar weiter abgemahnt werden können, allerdings dürfen die Kosten dafür nicht mehr dem Abgemahnten in Rechnung gestellt werden. Das macht massenhafte Abmahnungen unattraktiv. Gleiches gilt auch für Verstöße gegen die Datenschutz-Grundverordnung, wenn die Firma weniger als 250 Mitarbeiter hat. Nach dem Bundestag muss dem Gesetz nun auch noch der Bundesrat zustimmen.
  • US-Milliardär Bloomberg finanziert deutsche Startups: Wie das Magazin Capital berichtet, steht er als größter Geldgeber hinter dem Londoner Fonds Hedosophia. Dieser hat ein Volumen von reichlich einer Milliarde US-Dollar. Mit dem Geld investiert er unter anderem in bekannte deutsche Startups wie N26 und Flixbus.
  • Corona-Schulden lukrativ für deutschen Staat: Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld? Angesichts der coronabedingten Neuververschuldung des deutschen Staates (218 Milliarden Euro 2020 und 96 Milliarden Euro 2021) stellen sich nicht wenige diese Frage. Allerdings könnten die Sorgen zumindest kurzfristig unbegründet sein. Nach Angaben der Welt macht der deutsche Staat in Zeiten von Negativzinsen mit den Schulden nämlich kräftig Kasse. So wird er 2020 laut Schätzungen einen Gewinn von 11,6 Milliarden Euro erzielen.

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