Daniel Hoch: Man muss sich auch mal selbst in den Arsch treten
Der Leipziger Berater, Autor und Speaker weiß genau, was Firmengründer tun müssen, damit wichtige Aufgaben nicht liegen bleiben. Wir haben ihn interviewt.
Founderella: Herr Hoch, obwohl wir alle den Spruch „Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ kennen, leiden viele Menschen an Aufschieberitis. Bestimmte Aufgaben werden einfach nicht erledigt, sondern häufig erst kurz vor Ablauf einer Frist. Was sind die Gründe für dieses Verhalten?
Daniel Hoch: Da gibt es verschiedene Ursachen. Ein entscheidender Punkt ist, dass das Gehirn stets dazu neigt, erst einmal Dinge in Angriff zu nehmen, bei denen man eine kurzfristige Befriedigung verspürt.
Beispielsweise kommen wir abends heim, sind total platt, haben ganz viel gemacht, aber am Ende eigentlich nichts geschafft. Das zeigt, dass wir uns immer sehr stark auf zweit- oder drittrangige Aufgaben konzentrieren, weil sich auf diese Weise viele schnelle Erfolge einstellen und wir das Gefühl haben, auf der Liste wird es weniger. Die wichtigen Aufgaben bleiben allerdings liegen.
Haben die Betroffenen Angst, sich wichtigen Aufgaben zu stellen?
Das Hauptproblem besteht darin, dass die Erfolge nicht sofort sichtbar sind, weil man mehrere Tage und Wochen mit der Aufgabe verbringt. Die meisten Menschen wollen aber schnelle Erfolge sehen. Hinzu kommt in der Tat ein Gefühl von Angst. Entweder ist es die Angst zu scheitern, oder, was auch oft vorkommt, die Angst vor Erfolg.
Warum sollte jemand Angst vor Erfolg haben?
Angst vor Erfolg bedeutet: Was mache ich denn, wenn ich jetzt eine geile Website habe, die online geht, und plötzlich kommen Aufträge herein? Womöglich kann ich die gar nicht abdecken. Außerdem habe ich dann keine Zeit mehr, so viel Larifari zu machen, worauf ich Bock habe.
Viele Jungunternehmer gründen ja deshalb ihr eigenes Startup, weil sie ihr eigener Chef sein wollen, ihre eigenen Ideen umsetzen möchten. Sobald aber Kunden kommen, bist du nicht mehr frei, dann hast du zu tun, was die Kunden sagen. Und die wollen ein Projekt bis zu einem bestimmten Zeitpunkt umgesetzt haben, so dass man nicht mehr einfach sagen kann, heute ist schönes Wetter, das mache ich dann morgen Abend. Nee, morgen ist der Termin des Kunden, jetzt muss ich das machen.
Haben das manche Leute am Anfang noch nicht so auf dem Schirm?
Nicht nur manche, das gilt für viele Selbstständige. Die kennen zwar den Spruch selbst und ständig, aber was das heißt, wissen sie nicht: Selbstbestimmt am Strand liegen oder einfach mal von zu Hause aus arbeiten und zwischendurch noch die Wäsche ansetzen, einkaufen gehen, Reifenwechsel, schnell noch mal dies und das tun? Das ist zwar alles möglich, aber es ist nur eine Seite der Medaille. Damit sich die gewünschten Resultate einstellen, muss ich mir auch mal selbst in den Arsch treten und sagen: Nein, es gibt heute kein Facebook oder andere Ablenkungen.
Gilt das auch für den Umgang mit Mitarbeitern?
Ja, sicher. Die grundlegende Frage ist immer, wenn ich ein Startup gründe: Wie gehe ich mit meinen Mitarbeitern um? Welche Regeln setze ich ihnen? Haben sie eine feste Arbeitszeit, dürfen sie rauchen gehen, dürfen sie ihr Handy benutzen und bei Facebook rumspielen?
Manche Gründer stellen jedoch Regeln auf und halten sich dann selbst nicht daran. Sie lenken sich ab und konzentrieren sich auf Sachen, die überhaupt nicht wichtig sind.
Sind die neuen technischen Möglichkeiten eine besondere Herausforderung? Facebook und ähnliches gab es ja früher nicht. Haben sie das Problem des Aufschiebens noch mal verschlimmert?
Auf das gesamte Thema bezogen: Nein, das nicht. Damals gab es zwar weniger Möglichkeiten, die dich ablenken konnten, es gab aber auch weniger Optionen. Die Menschen hatten nur den ersten oder den zweiten Weg, um voranzukommen. Jetzt haben wir 20 Wege. Das ist ja eigentlich auch das Geile, dass wir viel mehr Möglichkeiten haben, die unserem Selbst entsprechen. Man darf sich nur nicht von den Zielen ablenken lassen, die gar nicht nötig sind. Am Ende hat jeder die Qual der Wahl.
Warum ist das Aufschieben gerade in unseren Breitengraden so verbreitet? Spielen da auch kulturelle Prägungen eine Rolle?
Kulturell würde ich nicht sagen, denn kulturell sind wir Deutschen beim Thema Planen und strukturiertem Arbeiten schon sehr gut aufgestellt. Das Problem bei uns ist, dass wir uns nicht getrauen, Tacheles zu reden, weil wir Angst haben, als Egoist oder Arschloch dazustehen.
Woran liegt das?
Die Generation Y, die nach 1980 geboren wurde und alles infrage stellt, kommt halt nicht zum Punkt. Die ist erzogen worden mit dem Thema Wünsche äußern, Ich-Botschaften senden und alles sehr, sehr sachlich zu sehen. Das sind aber Weichmacher. Niemand spricht mehr von Schwächen, sondern nur noch von Stärken und Potenzialen.
Ist es notwendig, ab und zu auch mal mit der Faust auf den Tisch zu hauen?
Na klar, voll auf den Tisch. Es sollte deutlich ausgesprochen werden: Was gefällt mir an dir und was finde ich schlecht. Das muss erlaubt sein, vor allem in Projekten. Ansonsten reden wir uns die Sachen schön.
Wie bewerten Sie Fälle, wenn eine Firma bereits eine Menge Geld in ein Projekt investiert hat und nur aus diesem Grund immer weiter macht?
Das gibt es durchaus. Wenn die Verantwortlichen sagen: Wir haben jetzt 20.000 Euro ausgegeben und drei Jahren dran gearbeitet, da können wir nicht einfach aufgeben.
Wenn man aber erkennt, wir halten nur an dem Projekt fest, weil es unser „Baby“ ist, und weil wir vielleicht sonst nicht wissen, was wir tun wollen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir nicht vorwärts kommen.
Also müsste man schon zeitiger überprüfen, ob es der richtige Weg ist?
Genau, aber auch hier gilt: Nachdenken: Ja, zerdenken: Nein.
Wie läuft so eine Überprüfung denn konkret ab?
Erst mal ist es ratsam, seine eigenen Werte und Glaubenssätze zu analysieren. Diese muss man mit den Zielen der Firma vergleichen. Stimmen sie überein, ist alles gut. Ist das nicht der Fall, dann muss man sich überlegen, ob man etwas an der Philosophie der Firma ändert oder versucht, die eigenen Glaubenssätze zu überdenken. Oder man geht/kündigt beziehungsweise lässt es sein, fängt ein neues Projekt an, sucht Alternativen, die eben zu den eigenen Werten passen.
Wie sieht es mit jungen Firmengründern aus, die als Studenten ihre Hausarbeiten immer erst im letzten Moment fertig gestellt und auch für Prüfungen sehr kurzfristig gelernt haben. Sollten diese tatsächlich Unternehmer werden, obwohl ihr Blick für langfristige Entwicklungen noch nicht sehr gut ausgeprägt ist?
Sie können natürlich an sich arbeiten, aber das Risiko, dass sie ihr Verhalten aus dem Studium fortführen, ist natürlich potenziell höher als bei jemandem, der bereits sehr strukturiert arbeitet. Abraten würde ich ihnen aber nicht. Sie sollten sich am Anfang nur zügig bewusst werden, wo ihre eigenen Schwächen liegen und diese entweder akzeptieren oder sich jemanden suchen, der das kompensiert,
Wie kann das in der Praxis aussehen?
Ich habe mir zum Beispiel eine Assistentin gesucht. Die ist wertvoll, wenn ich mal herumspinne, zu viele Ideen habe, zu kreativ bin. Sie sagt dann: Hey, STOPP. Macht das wirklich Sinn? Was machen wir jetzt?
Der andere Grund, warum ich sie eingestellt habe, ist die Tatsache, dass ich in meinem Beruf Einzelkämpfer bin, der den ganzen Tag allein auf der Straße unterwegs ist. Ich mache mein Ding und haue wieder ab.
Ich brauche sie aber menschlich gesehen, als jemanden bei dem ich mich auskotzen kann, wo ich mir Feedback hole, jemanden, der auch mit ins Seminar reingeht, sich das den ganzen Tag anguckt, sich eine eigene Meinung bildet. Kurz gesagt: Ich habe mir meine Kontrolleurin eingestellt.
Wir haben jetzt ausführlich über die Ursachen von Aufschieberitis gesprochen. Interessant ist aber natürlich, wie man sich dieses Verhalten abgewöhnen kann. Welche Strategien gibt es, um die Aufschieberitis wirksam zu bekämpfen?
Die erste Empfehlung lautet natürlich mein Buch zu lesen. Darüber hinaus ist es notwendig, sich rauszunehmen aus der Situation. Bewusst sollte ein Firmenchef dazu das Büro verlassen, um nachzudenken, welche Defizite es gibt. Er sollte an einen Ort gehen, wo er sich sonst nicht aufhält.
Die dritte Strategie betrifft die Selbstreflexion. Von Zeit zu Zeit muss man die Eigenwahrnehmung einmal mit der Fremdwahrnehmung vergleichen. Befreundete Unternehmer eignen sich zu diesem Zweck ganz gut. Am besten ist es, wenn sie einen halben oder ganzen Tag mal die komplette Bude auseinandernehmen und unangenehme Fragen stellen.
Junge Startups zeichnen sich meist durch flache Hierarchien aus. Kann die Aufschieberitis ohne einen autoritären Chef begünstigt werden?
Flache Hierarchien werden oft verwechselt mit „Wir haben uns alle lieb“ oder „Alle haben was zu sagen, und wir entscheiden gemeinsam“. Diese Einstellung kann aber in die Sackgasse führen. Autoritär heißt für viele Druck, aber Druck entsteht nur, wenn keine Klarheit da ist. Es muss immer einen geben, und das braucht nicht unbedingt der Chef zu sein, der sagt, jetzt haben wir hier eine Stunde gequatscht, was machen wir nun? Wer ist für welchen Punkt zuständig und wer kontrolliert wen? Auch ein hippes Startup braucht jemanden, der Klarheit reinbringt und Tacheles redet. Alles sollte verbindlich sein.
Wie häufig sind Fälle, wo jemand zwar im Beruf nicht aufschiebt, aber im Privatleben permanent und dadurch seine Work-Life-Balance aushebelt?
Da gibt es schon einen Zusammenhang. Wenn man unzufrieden zu Hause ist, schleppt man das automatisch mit auf Arbeit. Allerdings ist der Name Work-Life-Balance aus meiner Sicht verkehrt. Es gibt nur eine Life-Balance. Und innerhalb meines Lebens gibt es Abschnitte, in denen ich arbeite oder Hobbys nachgehe.
Ich versuche auch die Wörter Arbeit und Freizeit zu vermeiden. Wenn ich Freizeit habe, dann ist die Arbeit ja gemäß dieser Denkweise eigentlich keine freie Zeit. Tatsächlich bin ich dort aber nicht gefangen. Wenn ich die Arbeit hingegen von meinem Leben trenne, dann lebe ich nicht auf Arbeit. Das ist für mich die zweite Volkskrankheit „Work-Life-Balance-Schizophrenie“. Für mich ist das der Hauptgrund, warum Menschen Burnout bekommen, weil sie nur der Arbeit nachgehen und nicht der Berufung.
Es gibt das berühmt Zitat von Fridtjof Nansen „Beeilt euch zu handeln, ehe es zu spät ist zu bereuen“, das Willy Brandt 1971 erwähnt hat, als er den Friedensnobelpreis verliehen bekam. Es beschreibt die Folgen des Nichthandelns recht dramatisch. Kann es auch dem Einzelnen helfen, sich die Konsequenzen sowohl im Berufs- als auch im Privatleben in dieser Form klar zu machen?
Ja, auf jeden Fall. Deshalb ist auch ein Teil meines Buches dem Tod gewidmet. In meinen Vorträgen bringe ich außerdem die Wünsche von Sterbenden mit hinein. Nachdenklichkeit ist wichtig, um einen Wandel zu bewirken.
Herr Hoch, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Stephan Hönigschmid
Aufschieberitis: Die Volkskrankheit Nr. 1, tredition GmbH, Hamburg, 220 Seiten, 24,90 Euro (gebundene Ausgabe)